Co-Regulation bedeutet, dass sich dein Nervensystem unbewusst an deine Umgebung anpasst. Als Babys sind wir unweigerlich auf diesen Mechanismus angewiesen, denn wir sind noch nicht in der Lage, uns selbst zu beruhigen. Als Erwachsene können wir die Kraft der Co-Regulation nutzen und uns mit geliebten Menschen und Tieren umgeben, um ein Gefühl von Ruhe, Sicherheit und emotionaler Stabilität zu erlangen. Co-Regulation bedeutet, dass wir selbst nichts aktiv dafür tun müssen, um unser Nervensystem zu beruhigen - außer uns in eine sichere Umgebung zu begeben. Was genau "sicher" bedeutet - und was bei dem Versuch der Co-Regulation auch schief gehen kann - erfährst du in dem Artikel.
Das Nervensystem und die Rolle der Sicherheit
Unser autonomes Nervensystem reagiert ständig auf die Welt um uns herum. Es nimmt Signale wahr, die entweder Sicherheit oder Gefahr anzeigen. Wenn wir uns in einer sicheren Umgebung befinden, aktiviert sich unser ventraler Vagusnerv, ein Teil des parasympathischen Nervensystems. Dieser Zustand unterstützt Ruhe, Verbundenheit und Regeneration.
Co-Regulation ist ein natürlicher Prozess, bei dem wir durch die Nähe und Interaktion mit anderen Wesen – vor allem Menschen oder Tieren, aber auch der Natur – unser Nervensystem beruhigen können.
1. Menschen, die sich sicher anfühlen
Die Verbindung mit Menschen, die uns das Gefühl von Sicherheit und Akzeptanz vermitteln, hat eine direkte Wirkung auf unser Nervensystem. Ein ruhiges Gespräch, ein sanfter Blick oder einfach das stille Zusammensein mit einer vertrauten Person kann den ventralen Vagusnerv aktivieren. Das liegt daran, dass unser Gehirn unbewusst Signale der Sicherheit empfängt, etwa durch einen ruhigen Tonfall, offene Körpersprache oder langsame Atmung der anderen Person.
2. Tiere als Co-Regulationspartner
Tiere sind wahre Meister der Co-Regulation. Ob es das beruhigende Schnurren einer Katze, die bedingungslose Zuneigung eines Hundes oder das Beobachten von Fischen im Aquarium ist – Tiere senden oft konstant Signale der Ruhe und Sicherheit aus. Ihr Kontakt kann uns helfen, Stress abzubauen und in einen ausgeglichenen Zustand zurückzukehren.
3. Natur und ihre heilende Wirkung
Auch die Natur spielt eine entscheidende Rolle in der Co-Regulation. Das sanfte Rauschen der Bäume, das Geräusch eines plätschernden Bachs oder der Blick in den weiten Himmel können unser Nervensystem auf subtile, aber tiefgreifende Weise beruhigen. Studien zeigen, dass allein das Verbringen von Zeit in einer grünen Umgebung Stresshormone senken und unser Wohlbefinden steigern kann.
Mach dein Leben zu einem sicheren Ort
Es ist wichtig zu betonen, dass Co-Regulation nur in sicheren Umgebungen möglich ist. Wenn wir uns in einem unsicheren Umfeld befinden – sei es durch Konflikte, emotionale Abweisung oder physische Gefahren – wird unser Nervensystem aktiviert, um uns zu schützen. Diese Schutzreaktionen sind lebensnotwendig, können uns jedoch daran hindern, in einen Zustand von Ruhe und Verbindung zu gelangen. Deshalb ist es entscheidend, bewusst sichere Räume und Beziehungen zu schaffen, in denen Co-Regulation geschehen kann.
Vertraue deinem Nervensystem, wenn es darum geht, die Sicherheit oder Unsicherheit von Menschen oder Orten zu bewerten. Menschen, die schlechte Erfahrungen gemacht haben, sind oft hypersensibel und nehmen die kleinsten Unsicherheiten von außen als Bedrohung wahr. Merkst du an dir selbst, dass du schnell "zumachst" und dich unsicher fühlst, werte dies nicht und danke deinem Nervensystem für seine Schutzreaktion.
Wisse aber, egal wie schwer es für dich ist, dich sicher zu fühlen - es gibt Menschen und Orte, an denen auch du dich sicher fühlen kannst. Wichtig ist hierbei: Gib dir und deinem Nervensystem Zeit. Wenn du dich bisher oft in unsicheren Umgebungen aufgehalten hast und dein Nervensystem über-sensibel ist, dann versuche, Schritt für Schritt Sicherheit aufzubauen und zu erlauben. Kennst du Menschen, mit denen du dich zu 50% sicher fühlst? Dann fang da an. Vielleicht kannst du durch offene Kommunikation das Level an Sicherheit noch vertiefen.
Außerdem ist es wichtig, dass du beginnst, dich von Menschen und Umgebungen zu entfernen, die sich dauerhaft nicht sicher anfühlen.
Mach aus deinem Leben einen sicheren Ort, zu dem nur Menschen Zutritt haben, denen du wichtig bist und die in der Lage sind, zuzuhören und Beziehungen einzugehen. - Brianna Wiest
Der Einfluss von Trauma
Wenn wir als Babys keine gesunde Co-Regulation durch unsere Mutter oder primären Bezugspersonen erfahren, wird unser Nervensystem auf Unsicherheit geprägt - dies ist dann ein Zustand, der uns vertraut ist und den wir auch als Erwachsene immer wieder in unser Leben ziehen. Zudem hatten wir kein Vorbild für eine gesunde Regulation und wir werden versuchen, uns durch Abhängigkeiten zu regulieren - bis wir uns aktiv damit auseinandersetzen und dafür bemühen, unser Nervensystem zu heilen.
Wenn wir als Babys und Kleinkinder wenig Sicherheit erfahren haben, ist es wahrscheinlich, dass wir uns auch als Erwachsene immer wieder in unsicheren und belastenden Situatonen wiederfinden - sei es durch materielle und finanzielle Unsicherheit, eine gefährliche Umgebung oder durch emotional instabile Beziehungen mit unvorhersehbaren Menschen. So paradox es klingen mag, diese äußere Unsicherheit kann sich in unserem Inneren auf eine Art "sicher" anfühlen - denn es ist das, was wir kennen, was vertraut ist, womit wir uns zwar nicht besonders gut fühlen, aber womit wir umgehen können. Das Sichere hingegen ist das, was wir nicht kennen - und das kann auf eine Art ungewohnt oder sogar bedrohlich wirken.
Um aus diesem Muster auszubrechen braucht es viel Selbstmitgefühl und den festen Willen nach einer heilsamen Veränderung. Es ist ebenfalls eine therapeutische Begleitung mit einer körperbasierten Herangehensweise zu empfehlen.
Co-Regulation vs. Abhängigkeit
Co-Regulation und Abhängigkeit oder der Gebrauch von Substanzen zur Regulation sind zwei grundlegend unterschiedliche Ansätze, mit Stress und Dysregulation umzugehen. Während Co-Regulation auf einer gesunden, sicheren Verbindung zu anderen basiert, die unser Nervensystem beruhigt und langfristig stärkt, ist Abhängigkeit oder der Rückgriff auf Substanzen oft ein Versuch, Dysregulation kurzfristig zu kompensieren. Co-Abhängigkeit entsteht, wenn wir in Beziehungen oder durch Substanzen eine emotionale Stabilität suchen, die wir nicht selbst oder durch gesunde Verbindungen herstellen können.
Dies führt häufig zu einem Kreislauf von Abhängigkeit und verstärkt letztlich die innere Instabilität, da diese Strategien keine echte Sicherheit oder nachhaltige Regulation bieten. Co-Regulation hingegen schafft Raum für Heilung, da sie uns hilft, innere Balance zu finden und gleichzeitig unsere Fähigkeit zur Selbstregulation langfristig zu stärken.
Praktische Tipps, um die Kraft der Co-Regulation zu nutzen
Suche Verbindung zu sicheren Menschen: Umgebe dich mit Menschen, bei denen du dich akzeptiert und geborgen fühlst. Gemeinsames Lachen, Zuhören oder einfach nur Schweigen können sehr kraftvoll sein.
Verbringe Zeit mit Tieren: Ob ein Spaziergang mit deinem Hund, das Streicheln einer Katze oder das Beobachten von Tieren in freier Natur – Tiere können deine emotionale Balance stärken.
Tauche in die Natur ein: Plane regelmäßige Besuche im Wald, am Wasser oder in einem Park. Auch das Betrachten von Naturbildern oder das Hören von Naturgeräuschen kann beruhigend wirken.
Achte auf deine Atmung: Tiefes und bewusstes Atmen hilft, das Nervensystem zu regulieren und die Wirkung von Co-Regulation zu unterstützen.
Vertraue in deinen eigenen Weg.
Die Kraft der Co-Regulation liegt in ihrer Einfachheit und Natürlichkeit. Ob durch liebevolle Menschen, Tiere oder die Natur – sichere Verbindungen können unser Nervensystem beruhigen, uns aus einem Zustand der Dysregulation herausholen und unser Wohlbefinden steigern. Indem wir bewusst sichere Räume schaffen und unsere Verbindung zu anderen Lebewesen und der Natur stärken, fördern wir nicht nur unsere eigene Gesundheit, sondern auch tiefere, erfüllendere Beziehungen.
Nutze die Kraft der Co-Regulation, und schenke dir selbst Momente der Ruhe und inneren Stabilität – du hast es verdient!
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